Das Liebeslied "Ännchen von Tharau" gehört zu den beliebtesten "Volksliedern" des 19. und 20. Jahrhunderts. Obwohl es schon im 17. Jahrhundert entstanden ist, wurde es breiteren Kreisen erst durch die Übertragung Johann Gottfried Herders ins Hochdeutsche bekannt (1778). Populär gemacht hat es die Vertonung von Friedrich Silcher (1827).

Was machte damals eine Pfarrersfrau, wenn ihr Mann gestorben war?
Sie heiratete den Amtsnachfolger!!

Anna Neander - uns bekannt als "Ännchen von Tharau" - liefert für diese Form der Pfarrwitwenversorgung ein eindrückliches Beispiel.
Anna Neander (* 1615 in Tharau, † 28. September 1689 in Insterburg), Tochter des Tharauer Pfarrers Martin Neander, verlor 1629 Mutter und Vater und wuchs bei ihrem Vormund Stolzenberg in Königsberg auf.
Anna heiratete 1636 den Pfarrer Johannes Portatius. Sie bezogen zunächst eine Pfarrstelle in Trempen, Kreis Darkehmen, und 1641 in Laukischken (Landkreis Labiau), wo sie etwa 35 Jahre lang lebte. Ihr Mann starb bereits 1646, nach dessen Tod heiratete sie den Nachfolger im Amt, den Pfarrer Grube. Dieser starb bereits nach sechs Ehejahren, und Anna heiratete den nächsten Amtsnachfolger, Pastor Johann Melchior Beilstein.

 

Das Lied Ännchen von Tharau soll anlässlich Anna Neanders erster Hochzeit mit dem Pfarrer Johannes Portatius im Jahre 1636 entstanden sein. Die Urheberschaft des Liedes wurde lange Zeit, ohne dass es dafür sichere Belege gäbe, Simon Dach zugesprochen.

Das Lied thematisiert die Liebe zu einer Frau mit Namen und Herkunftsbezeichnung "Anke (Ännchen) von Tharau". In siebzehn zweizeiligen Strophen wird diese gelobt und gibt zugleich das damalige Liebes- und Eheideal wieder. Unter anderem wird ausgeführt, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau durch allerhand Beschwernisse intensiviert werde. So ist auch das Bild vom Palmbaum zu verstehen: Im 17. Jahrhundert war man der Auffassung, dass dieser Baum kräftiger wachse, wenn er mit Gewichten beschwert werde oder den Unbilden der Natur ausgesetzt sei. Strophe 11 setzt den Mann als Oberhaupt der Frau voraus, wie es die damalige Gesellschafts- und Rechtsordnung vorsah. Gleichzeitig verpflichtet sich der Mann, seine Frau zu lieben.

Hier die hochdeutsche Fassung aller 17 Strophen:

Ännchen von Tharau ist's, die mir gefällt,
Sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld.
Ännchen von Tharau hat wieder ihr Herz
Auf mich gerichtet in Lieb und in Schmerz.
Ännchen von Tharau, mein Reichthum, mein Gut,
Du meine Seele, mein Fleisch und mein Blut!
Käm alles Wetter gleich auf uns zu schlahn,
Wir sind gesinnet bei einander zu stahn.
Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein.
Recht als ein Palmenbaum über sich steigt,
Je mehr ihn Hagel und Regen anficht;
So wird die Lieb' in uns mächtig und groß
Durch Kreuz, durch Leiden, durch allerlei Noth.
Würdest du gleich einmal von mir getrennt,
Lebtest, da wo man die Sonne kaum kennt;
Ich will dir folgen durch Wälder, durch Meer,
Durch Eisen, durch Kerker, durch feindliches Heer.
Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn,
Mein Leben schließ' ich um deines herum.
Was ich gebiete, wird von dir getan,
Was ich verbiete, das lässt du mir stahn.
Was hat die Liebe doch für ein Bestand,
Wo nicht ein Herz ist, ein Mund, eine Hand?
Wo man sich peiniget, zanket und schlägt,
Und gleich den Hunden und Katzen begeht.
Ännchen von Tharau, das wolln wir nicht tun;
Du bist mein Täubchen, mein Schäfchen, mein Huhn.
Was ich begehre, begehrst du auch,
Ich lass den Rock dir, du lässt mir den Brauch.
Dies ist dem Ännchen die süßeste Ruh',
Ein Leb' und Seele wird aus Ich und Du.
Dies macht das Leben zum himmlischen Reich,
Durch Zanken wird es der Hölle gleich.

Und jetzt noch die ursprüngliche (samländische) Fassung:

Anke van Tharaw öß, de my geföllt,
Se öß mihn Lewen, mihn Goet on mihn Gölt.
Anke van Tharaw heft wedder eer Hart
Op my geröchtet ön Löw' on ön Schmart.
Anke van Tharaw mihn Rihkdom, min Goet,
Du mihne Seele, mihn Fleesch on mihn Bloet.
Quöm' allet Wedder glihk ön ons tho schlahn,
Wy syn gesönnt by een anger tho stahn.
Kranckheit, Verfälgung, Bedröfnös on Pihn,
Sal vnsrer Löve Vernöttinge syn.
Recht as een Palmen-Bohm äver söck stöcht,
Je mehr en Hagel on Regen anföcht.
So wardt de Löw' ön onß mächtich on groht,
Dörch Kryhtz, dörch Lyden, dörch allerley Noht.
Wördest du glihk een mahl van my getrennt,
Leedest dar, wor öm dee Sönne kuhmt kennt;
Eck wöll dy fälgen dörch Wölder, dörch Mär,
Dörch Yhß, dörch Ihsen, dörch fihndlöcket Hähr.
Anke van Tharaw, mihn Licht, mihn Sönn,
Mihn Leven schluht öck ön dihnet henönn.
Wat öck geböde, wart van dy gedahn,
Wat öck verböde, dat lätstu my stahn.
Wat heft de Löve däch ver een Bestand,
Wor nich een Hart öß, een Mund, eene Hand?
Wor öm söck hartaget, kabbelt on schleyht,
On glihk den Hungen on Katten begeyht.
Anke van Tharaw dat war wy nich dohn,
Du böst mihn Dühfken my Schahpken mihn Hohn.
Wat öck begehre, begehrest du ohck,
Eck laht den Rack dy, du lätst my de Brohk.
Dit öß dat, Anke, du söteste Ruh'
Een Lihf on Seele wart uht öck on Du.
Dit mahckt dat Lewen tom Hämmlischen Rihk,
Dörch Zancken wart et der Hellen gelihk.

bearbeitet nach Informationen aus: Wikipedia